Eine Existenzgründung mit Hindernissen – Claudia Domnik vom "Kuchenseppel" im Interview

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Heute haben wir für Euch mit Claudia Domnik eine Interview-Partnerin mit einer besonders bewegenden Gründungsgeschichte. Entgegen den meisten unserer Interviews handelt es sich bei dem Unternehmen, das sie aufbaut, nicht um ein Internet-Startup, sondern ein eher traditionelles Business: Den Verkauf von Kuchen.
Wie es dazu gekommen ist und unter welchen Rahmenbedinungen der “Kuchenseppel” ins Leben gerufen wurde, erfahrt Ihr in dem Interview. Größten Respekt an Frau Domnik für Ihre Gründungsgeschichte und Euch wünschen wir viele Learnings, Inspiration und Motivation aus den folgenden Schilderungen.
RMS: Hallo Frau Domnik, bitte stellen Sie sich unseren Lesern kurz vor. Wer sind Sie und was machen Sie?
Ich bin 46 Jahre alt, habe zwei abgeschlossene Ausbildungen als Gärtnermeisterin und Verwaltungsangestellte, und über 10 Jahre Berufserfahrung im Abrechnungswesen, Dienstleistung und Vertrieb/Vermarktung. Wie Sie sehen, bin ich auch beruflich immer neue Wege gegangen. Nicht aus Unentschlossenheit, sondern der Vielfältigkeit halber. Ich bin jemand, der sehr gerne seinen Horizont erweitert, aber halt auch gleichermaßen polarisiert.
RMS: Wie kam es zur Gründung von Kuchenseppel?
Selbständigkeit war schon immer ein Thema für mich. Offensichtlich ging es mir nur „immer viel zu gut“, um den Schritt zu wagen. Wenn man einen Job hat, der einen zwar nicht ausfüllt aber dennoch eine gewisse Regelmäßigkeit und finanzielle Absicherung verbirgt, werden sich immer wieder „gute“ Gründe finden, nicht damit aufzuhören. Es ist wie mit dem Rauchen. Man weiß, es macht einen kaputt, aber man tut es trotzdem (lächeln)
2010 kam der Wendepunkt: Ich erkrankte schwer, wurde 6 mal in 2010 und 2011 in verschiedenen Kliniken (von Main nach Trier und dann nach Homburg Saar) operiert. In Bezug auf Schmerzmittel spielte ich in der Liga von Morphium und Opiaten ganz oben mit. Es war eigentlich nie so richtig abzusehen, wann ich wieder arbeiten konnte und ob noch einmal operiert werden sollte.
Nichtsdestotrotz bewarb ich mich immer wieder mit Erfolg. 100 % Resonanz auf jede Bewerbung… bis zum ersten Gespräch. Ich vermute, daß mein Anblick (mit Verband im Gesicht) –sorry, ohne sah es noch viel unansehlicher aus- meine Gesprächspartner offensichtlich denken ließ, ich wolle zum sterben –und nicht zum arbeiten- dorthin kommen.
Irgendwo zwischendrin besuchten wir Freunde in Freiburg. Und dort kam es dazu, daß ich einen Käsekuchen probierte, der mein Leben später einmal verändern sollte. Klar war, daß ein solches Produkt sicherlich nicht den Freiburgern alleine überlassen werden durfte! Klar, daß dieser Käsekuchen im Rhein-Main-Gebiet „integriert“ werden musste… Einen Namen hatte das Kind schnell… den „Kuchenseppel“…. Mehr oder weniger auch herausgesprudelt.

Claudia Domnik aus Neu-Isenburg baut derzeit mit dem "Kuchenseppel" ihre Existenz auf
Claudia Domnik aus Neu-Isenburg baut derzeit mit dem “Kuchenseppel” ihre Existenz auf

Mittlerweile steuerte mich die Krankenkasse aus, ich mußte mich arbeitslos melden, wurde – mal wieder frisch operiert- amtsärztlich als erwerbsunfähig begutachtet und –aus meiner Sicht genötigt- einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger stellen, um Arbeitslosengeld zu bekommen.
Für mich war klar, daß ich weder arbeitslos noch erwerbsunfähig sein wollte. Ich war 44 Jahre alt und ganz sicher noch nicht reif für die Rente. Mein Hausarzt konnte mir eine volle Erwerbsfähigkeit nicht bescheinigen, weil ich ja Opiate und diverse andere Schmerzmittel einnahm.
Also setzte ich diese Präparate ab! Sofort und von heute auf morgen…. Und zwar alle auf einmal. UND FING AN, MEINEN 100-SEITEN-BUSINESSPLAN ZU VERFASSEN. Tag und Nacht hing ich vor dem Computer und mein Kopf hörte nicht auf zu denken. Ich konnte nicht mehr schlafen, weil die Worte so in mir herum sprudelten und zu Papier gebracht werden wollten.
Die Tragfähigkeitsbescheinigung der IHK hatte ich dann auch recht schnell, das ungewöhnliche und mutige Konzept überzeugte sofort.
Einige Wochen später bekam ich die Bescheinigung meines Hausarztes, die allerdings das Arbeitsamt nicht interessierte. Die wollten mich ja aus der Statistik haben und zum Rentenversicherungsträger abschieben… 3 Monate verstrichen ohne Erfolg, als ich mir Hilfe einer bekannten überregionalen Tageszeitung holte. Mit der Überschrift…“Hilfe, Arbeitsagentur will mich nicht arbeiten lassen“…. war der Weg geebnet. Es dauerte genau eine Woche, bis der Amtsarzt mich als voll arbeitsfähig begutachtet hatte.
Kaum zu Hause stellte ich einen formlosen Antrag auf Gründungszuschuß 1, reichte meine Unterlagen und die Tragfähigkeitsbescheinigung ein und erhielt binnen kürzester Zeit den positiven Bescheid der Arbeitsagentur.
RMS: Wie haben Sie die Finanzierung gestemmt?
Vom „Gutverdiener“ über Krankengeld zum Arbeitslosengeld war sicherlich keine Karriere, die ich mir einmal erträumt habe. Es war so schon schwer genug, „zu überleben“…
Etwas mehr als 1 Jahr vor meiner Erkrankung habe ich mich von meinem Partner nach über 12 Jahren getrennt und bin nur mit einer Rolle Toilettenpapier (kein Witz) und meinen beiden Hunden ausgezogen. Ich mußte meine neue Wohnung über Kredite komplett neu einrichten, die Kosten für Miete etc. und Verpflegung alleine tragen.
Das waren meine finanziellen Voraussetzungen. Reserven hatte ich keine. Freunde, die mir etwas geliehen hätten, hatten keine finanziellen Mittel und Freunde, die finanzielle Mittel hatten, glaubten nicht an meine Geschäftsidee.
Meine Hausbank (bei der ich über 20 Jahren Kunde bin) kannte meinen Businessplan… Nein, sie kannten ihn nicht! Sie hatten ihn zwar schon 3 Monate, aber scherten sich nicht darum.
Sie lobten ihn in den höchsten Tönen, aber am Ende wußte man gar nicht, was er überhaupt beinhaltete. Klar war, daß man (Originaltext)…“nicht wegen ein paar Euro sich die Arbeit machen wolle, bei der KfW-Bank einen Gründerkredit zu beantragen. Aber man könne mir ja einen Hausbankkredit oder einen Kontokorrentkredit einräumen“…..
Mein Weg führte zu einer anderen Bank an meinem Wohnort. Dort fand man meine Geschäftsidee auch klasse, erklärte mir aber auch, wie aufwendig solch ein KfW-Gründerkreditantrag wäre, und fragte, ob ich denn im Gegenzug bereit wäre, einen kleinen Obulus – so um die 500,00 € bis 1000,00 € als Aufwandsentschädigung zu zahlen und ggf. eine Rentenversicherung abzuschließen?… Ich müsse natürlich nicht, aber…. Bla bla bla
Ich habe mich für keines der „großzügigen“ Angebote der Banken entschieden!
Ich habe alles, was nicht niet- und nagelfest war verkauft. Ich habe jeden Cent zusammengekratzt, den ich erhaschen konnte. Letztendlich habe ich unter Tränen und mit wirklich blutendem Herz mein wunderschönes 11 Jahre altes Motorrad verkauft. Das erste Motorrad überhaupt, daß länger als 1 Jahr bei mir „wohnen“ durfte. Es sah aus, wie aus dem Laden und ich habe mir geschworen, daß ich diese Maschine nie verkaufen würde.
Ich könnte heute noch laut losheulen, wenn ich täglich den leeren Platz sehe, wo sie immer stand.
RMS: Was waren die größten Stolpersteine, die Sie bisher bei der Gründung und dem Aufbau vom Kuchenseppel überwinden mussten?
Der größte Stolperstein war die „Wachstumsbremse“ fehlender Mobilität . Mit dem KfW-Gründerkredit hätte u.a. die Anzahlung für einen Lieferwagen geleistet werden können. Wir reden hier von einer Kredithöhe von 15.000,00 € (fünfzehntausend) bei minimalstem Aufwand, aber höchster Effizienz.
Die eigentliche Marktausstattung (Schirm und Zubehör, Tische u.v.m) habe ich durch den Verkauf meiner Sachen und des Motorrades bezahlen können, das Geld für Material floß mir nur so durch die Finger.
Mit einem Lieferwagen hätten ganz andere Mengen umgesetzt werden können, entsprechend mehr Wochenmärkte hätten angefahren werden können.
So blieb mir nichts anderes übrig, als meinen privaten Kombi „zu vergewaltigen“ und als Transportgelegenheit für das ganze „Marktgerödel“ und Lieferfahrzeug für die Kuchen zu verwenden. Hierfür mußten natürlich auch noch extrem teure HACCP-Lebensmitteltransportboxen angeschafft werden.
Erschwerdend kam natürlich hinzu, daß man alles mehrmals in die Hand nehmen mußte. Auto ausräumen, Fahrt nach Freiburg –Kuchen holen- und zurück, Kuchen ausladen, „Marktgerödel“ wieder einladen…. Und das mehrmals die Woche…
Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, daß diese Tätigkeiten schon unter „normalen Bedingungen“ sehr kräftezehrend sind…. Nach langer Krankheit und 46 Kg Körpergewicht ging ich das ein- oder andere Mal schon auf dem Zahnfleisch… heute noch.
Seit August 2012 gibt es nun auch einen schönen Lieferwagen …“unser Seppelmobil“, den mein ERSTER Mitarbeiter nun fahren darf. Gedanklich ist auch noch ein kleiner Kastenwagen in Planung, um weitere Kapazitäten erlangen zu können und neue Wochenmärkte (mit vielleicht noch einem Mitarbeiter) beschicken zu können. Aber der muß eben erst noch erwirtschaftet werden. Aber ohne Investition keine Expansion.
Ich weiß nicht, in wie vielen Nächten ich mich schlaflos hin und her gewälzt habe und nicht wußte, wie es weitergehen soll. Da kann man schon mal Panikattacken bekommen.
Einerseits hat man ein Produkt, das seinesgleichen sucht und jede Menge Synergieeffekte mit sich bringt, andererseits fährt man mit angezogener Handbremse und kommt kaum vom Fleck, weil man den benötigten finanziellen Freiraum nicht gewährt bekommt.
RMS: Welche Eigenschaften haben Ihnen besonders dabei geholfen, die herausfordernden Zeiten durchzustehen?
Eiserne Willenskraft und Zähigkeit. Der Glaube an sich selbst und die Gewißheit, daß man das Richtige tut. Und vor allem das Gefühl, daß ich in meinem Leben noch nie so etwas schönes und lustiges gemacht habe wie das. Mit einem super Produkt, den besten Kunden der Welt und dem besten Mann der Welt.
Wer erst einmal davon „infiziert“ ist, den lässt es nie mehr los… Ist doch schön, daß die Kunden einem von weitem zurufen: …“bin ich froh, daß es Sie gibt“….
RMS: Wo möchten Sie in den nächsten 3-5 Jahren mit dem Kuchenseppel stehen?
Glücklich und zufrieden bin ich heute schon. Ein sicheres finanzielles Polster und Rücklagen wären schön und vielleicht 1-2 kleine Marktanhänger oder Piaggio Ape mit individuellem Kastenaufbau.
Ich möchte ein paar Menschen an meinem Glück teilhaben lassen und Arbeitsplätze schaffen. Im Moment suchen wir erst einmal Menschen wie Du und ich auf Aushilfsbasis stundenweise. Das sind natürlich die Mitarbeiter der ersten Stunde und diese werden wir auch bei entsprechender Bewährung mit in unser Boot holen.
Wachstum ja…. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. An erster Stelle steht das Qualitätsversprechen und die gleiche Augenhöhe mit dem Kunden. Das „Schwätzchen“ nebenbei muss erhalten bleiben und der persönliche Kundenkontakt darf nicht verloren gehen.
Unsere Kunden besuchen uns auch am Marktstand, wenn sie einmal nicht kaufen und melden sich ab, wenn sie in Urlaub fahren… …“Nur damit wir nichts schlimmes denken“…
DAS darf nie verloren gehen. Es geht nicht darum, ein Produkt verkaufen zu müssen, es geht darum, daß die Kunden uns etwas abkaufen möchten.
Ich möchte in 5 Jahren mindestens einen Mitarbeiter aus der Gründungsphase bzw. den Anfängen des Kuchenseppel’s beschäftigt haben. Das würde mir ein kleines bißchen den Glauben geben, daß ich vielleicht auch ein Stück weit als Arbeitgeber erfolgreich war.
RMS: Gibt es irgendeinen Tipp, den Sie anderen Gründern mit auf den Weg geben möchten?
Die Kunden merken, ob man authentisch ist! Nur wer sein Wesen nicht verstellt, dem wird es sprichwörtlich abgekauft.
Nicht irgendwas machen, um Geld zu verdienen. Und auf keinen Fall mit der Masse mitschwimmen! Individualiät und Mut werden sich irgendwann auszahlen.
Enthusiasmus ist erwünscht, aber nie den Überblick verlieren.
Und vor allem: Immer Mensch und menschlich bleiben.
Aber eines ist sicher: ES IST EIN VERDAMMT HARTES STÜCK ARBEIT!
RMS: Herzlichen Dank für das Interview.
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